TSVG - Auswirkungen auf den ambulanten Pflegedienst

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TSVG - Auswirkungen auf den ambulanten Pflegedienst

Ambulante Betreuungsdienste können künftig Sachleistungen abrechnen! Welche Auswirkungen hat das auf ambulante Pflegedienste?

Schon im November 2018 habe ich in der Podcast-Folge 72 davon berichtet, dass das Terminservice- und Versorgungsgesetz/TSVG im April 2019 in Kraft treten soll. Mein Fazit im letzten Jahr war, dass Beratung eine Kernkompetenz beruflich Pflegender bleiben oder werden muss. Das TSVG ist am 14. März 2019 im Bundestag beschlossen worden und am 11. Mai 2019 in Kraft getreten. Du hörst in dieser Folge welche Auswirkungen das aus meiner Sicht auf ambulante Pflegedienste hat.

 

 

TSVG - Auswirkungen auf den ambulanten Pflegedienst

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Bonus-Infos zu dieser Episode:

 

02. Mai 2019 UPDATE TSVG

Ab wann können Ambulante Betreuungsdienste die Zulassung zur Abrechnung nach § 36 SGB XI beantragen?

Hendrik Dohmeyer von Pflege-Dschungel hat herausgefunden:

"Nach Auskunft von Frau Dr. Barbara Mittnacht vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen werden derzeit die Richtlinien für das am 1. Mai in Kraft getretenen TSGV (inkl. der Regelungen für die Ambulanten Betreuungsdienste) erarbeitet. Diese Richtlinien werden den Bundesländern bis August (3 Monatsfrist zur Erstellung) übermittelt, sofern das BMG diese zeitnah genehmigt.

Konkret bedeutet dies, dass interessierte Betreuungsdienste je nach Umsetzungsgeschwindigkeit in den Ländern, die Zulassung zur Abrechnung nach § 36 frühestens im dritten Quartal beantragen können.  

Für die am Modell-Projekt beteiligten 49 Dienste bleibt die bisherige Zulassung für die Übergangsphase bestehen, die am 31.12.2019 endet (Zeitpunkt der Überführung in die Regelversorgung)."

 

Um das geht es:

 

Wenn ich im Workshop vom Terminservice- und Versorgungsgesetz erzähle, ernte ich meistens zwei Reaktionen:

Entweder sagen die Teilnehmer*innen: „Was haben wir denn mit den Praxisstunden von Ärzten zu tun?“ oder sie sagen:

„Betreuungsdienste haben doch auch in der Vergangenheit den Entlastungsbetrag mit den Kassen abgerechnet!“

 

Das TSVG hat Auswirkungen auf 14 unterschiedliche Gesetzbücher

In den Medien wurde am häufigsten darüber diskutiert, dass Kassenpatienten schneller Termine bei Ärzten und Psychotherapeuten bekommen sollen. Dafür soll eine bestimmte Anzahl von Praxisstunden pro Woche garantiert und sogenannte Terminservicestellen eingerichtet werden.

Diese Regelung verändert das SGB V. Und ja, diese Regelung tangiert ambulante Pflegedienst höchstens am Rande.

Das Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung beinhaltet allerdings mehrere Themen, die in 14 unterschiedliche Gesetzbücher einfließen und diese verändern. Daher sage ich, dass es sich bei diesem Gesetz um ein komplexes Gebilde handelt. Omnibusgesetz werden diese Gesetze genannt, die Auswirkungen auf unterschiedliche existierende Gesetze haben. 

Schau Dir einmal die Webseite des BMG an. Dort sind in verständlicher Sprache die wichtigsten Veränderungen aufgelistet.


 

Die wichtigste Veränderung für das SGB XI

Die wichtigste Veränderung für ambulante Pflegedienste wird in Artikel 10 der Beschlussempfehlung (Seite 130 ff) beschrieben.

Auf der Webseite des BMG liest sich das so:

Es handelt sich dabei nicht um den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro im Monat oder den Betrag der stundenweise Verhinderungspflege. Solange es diese Töpfe noch gibt, können sie sowohl von Pflegediensten als auch Betreuungsdiensten abgerechnet werden.

 

TSVG: Neu ist, dass ambulante Betreuungsdienste Sachleistungen nach § 36 SGB XI erbringen und abrechnen dürfen. Die Betonung liegt auf SACHLEISTUNGEN.

In Frage kommen die Leistungskomplexe, die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich sind, doch alle den Namen „pflegerische Betreuung“ haben.

 

Unabhängig davon, in welchem Bundesland Du arbeitest, schau Dir bitte einmal den § 14 des SGB XI an.

Alle Leistungen, die zu den Modulen 2, 3 und 6 gehören, sind pflegerische Betreuungsmaßnahmen.

Modul 2: kognitive und kommunikative Fähigkeiten
Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Modul 6: Gestaltung des Arbeitslebens und sozialer Kontakte

 

Bitte lies Dir unbedingt durch, welche zusätzliche Beschreibung in den genannten Modulen aufgeführt ist.

Darüber hinaus findest Du in § 18 Abs. 5a SGB XI die ausführliche Beschreibung von Aktivitäten, die zu der Unterstützung bei außerhäuslichen Aktivitäten und der Haushaltsführung zählen.

Auch diese Leistungen können von Betreuungsdiensten angeboten und im Rahmen der Sachleistungen abgerechnet werden.

 

Lass Dich von den Überschriften der beiden Paragrafen nicht in die Irre leiten. Auf den ersten Blick könnte man meinen, das hat doch mit Leistungen nichts zu tun. Doch, doch! Auf der Basis dieser Modulbeschreibungen und Kriterien erstellen die einzelnen Landesverbände die Leistungskomplexkataloge. Leider sind diese von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

Andreas Heiber und Gerd Nett haben dazu zwei richtig guten Artikel in der Zeitschrift Häusliche Pflege geschrieben.

Bundesländer Vergütung – Föderales Stückwerk
Chaos mit System

 

In den Shownotes unter dem Audioplayer findest Du das Beispiel der Leistungskomplexe 31-33 aus NRW. Hier werden einige Leistungen als Beispiele – also durchaus erweiterbar – aufgezählt, die zur „Pflegerischen Betreuung“ und zur „Sicherstellung der selbstverantworteten Haushaltsführung“ zählen.

Bevor ich erzähle, was Du mit diesen Texten anfangen kannst, lass uns kurz anschauen, welche Beschlüsse es zu den ambulanten Betreuungsdiensten gibt, welche Begründung zu dieser Gesetzesänderung geführt hat und welche Auswirkungen diese Gesetzesänderung auf Deinen Pflegedienst haben kann.


 

Beschlüsse zu ambulanten Betreuungseinrichtungen

Wo ist das geregelt?
In § 71 SGB XI Abs. 1 werden die Pflegeeinrichtungen genannt für die das SGB XI gilt. Bisher stehen da ambulante Pflegedienste und stationäre Pflegeheime. Nun wird Abs. 1a hinzugefügt, der auch ambulante Betreuungseinrichtungen zu den Pflegeeinrichtungen zählt. Deren Leistungen sind auf pflegerische Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung begrenzt.

 

Welche Qualifikation muss vorhanden sein?
Diese Frage beantwortet ebenfalls § 71 SGB XI.
Im Absatz 3 wird folgender Satz eingefügt: Bei Betreuungsdiensten kann anstelle der verantwortlichen Pflegefachkraft eine entsprechend qualifizierte, fachliche geeignete und zuverlässige Fachkraft mit praktischer Berufserfahrung im erlernten Beruf von zwei Jahren innerhalb der letzten acht Jahre eingesetzt werden. 

Für die Anerkennung als verantwortliche Pflegekraft ist zusätzlich Voraussetzung, dass eine Weiterbildungsmaßnahme für leitende Funktionen mit einer Mindeststundenzahl, die 460 Stunden nicht unterschreiten soll, erfolgreich durchgeführt wurde.

Die Anerkennung für Betreuungsdienste, die am Modellvorhaben teilgenommen haben, gilt weiter.

 

Wird es Qualitätsrichtlinien für ambulante Betreuungsdienste geben?
Ja, die wird es geben. § 112a SGB XI beschreibt eine Übergangsregelung zur Qualitätssicherung bei Betreuungsdiensten. Richtlinien zu den Anforderungen an das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung werden in den nächsten Monaten erstellt.

 

Dürfen ambulante Betreuungsdienste auch 37.3 Beratungsbesuche durchführen?
Nein. In den § 37 SGB XI wird der Absatz 9 hinzugefügt der bestimmt, dass Beratungsbesuche nach Absatz 3 von Betreuungsdiensten nicht durchgeführt werden.

 

Die Begründung: Warum der Gesetzgeber so entschieden hat

 

Die Ausgangssituation: 71% entscheiden sich für Pflegegeld

Es ist Fakt, dass sich 71% aller Pflegebedürftiger für Geldleistung entscheiden. Mit ein Grund für diese hohe Prozentzahl ist, dass körperbezogene Pflegemaßnahmen für Menschen mit unteren Pflegegraden nicht in Frage kommen.

Deshalb zählen seit 1.1.2017 die pflegerischen Betreuungsmaßnahmen als auch die Unterstützung in der Haushaltsführung zusätzlich zur Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI.

Ambulante Betreuungsdienste konnten bislang den Entlastungsbetrag und den Betrag für stundenweise Verhinderungspflege für ihre Hausreinigungsdienste mit der Kasse abrechnen. Im Übrigen ist das ein zusätzlicher Verwaltungsakt, immer prüfen zu müssen, welcher Dienstleister denn auf diese Budgets schon zugreift!


 

Auswirkungen auf den ambulanten Pflegedienst

  1. Ab dem Beschluss, dass ambulante Betreuungsdienste nun auch zu den Pflegeeinrichtungen gehören, können diese auch die entsprechenden Leistungskomplexe aus dem Sachleistungsbudget abrechnen. Diesen wiederum zusätzlichen Verwaltungsaufwand mag ich mir heute noch gar nicht vorstellen!

  2. Im, für den Pflegedienst schlechtesten Fall, wird ein Großteil des Sachleistungsbudgets für die Unterstützung bei der Haushaltsführung durch ambulante Betreuungsdienste abgerufen.

  3. Was bleibt denn dann noch für den Pflegedienst?
    SGB V Leistungen und aus dem SGB XI bei den unteren Pflegegraden der Klassiker von einmal Duschen in der Woche. Verschlimmert sich der Grad der Pflegebedürftigkeit werden auch vermehrt körperbezogene Leistungen sinnvoll. Doch woher wissen, wieviel Restbudget noch vorhanden ist und wann wird denn diese wichtige Info kommen? Ambulante Pflegedienste gehen noch mehr als jetzt in Vorleistung und können sich nicht sicher sein, ob die erbrachten Leistungen von der Kasse übernommen werden.

  4. Aus meiner Sicht ist die Kreativität was pflegerische Betreuungsmaßnahmen angeht, sowohl bei Pflegediensten als auch ambulanten Betreuungsdiensten ausbaubar. Viele Pflegedienste und auch Betreuungsdienste haben sich auf die Tätigkeit „Putzen“ spezialisiert.

 

„Endlich mal nicht putzen!“: Echte pflegerische Betreuungsmaßnahmen für meine Mutter

Ich höre schon jetzt den Aufschrei, dass alle Pflegebedürftige ja nur geputzt haben wollen und sogar die Kassen anbieten, sich vom Pflegedienst putzen zu lassen.

Zum ersten Einwand: Wenn keiner weiß, dass es auch noch andere Hilfestellungen gibt, dann wünscht sich der Pflegebedürftige eben das, was er kennt, und worin er den Bedarf sieht.

Für meine Mutter habe ich einen echten Betreuungsdienst gesucht, der eben nicht putzt, sondern sie dabei unterstützt:

Bei meiner Suche habe ich zweimal die Aussage gehört:

„Endlich mal nicht putzen! Das ist eine spannende Aufgabe, die wir gerne übernehmen.“

Genau, das stellt sich der Gesetzgeber unter pflegerischen Betreuungsmaßnahmen vor.

„Das gibt es nicht!“ Denkst Du vielleicht jetzt. Doch, das gibt es. Ich habe nämlich einen solchen Betreuungsdienst gefunden.

 

Zum zweiten Einwand: Wenn ein Angehöriger mit dem Hinweis kommt, dass die Kasse auf den putzenden Pflegedienst verweisen hat, dann braucht es eben eine gute Argumentation, warum Ihr kein Putzdienst seid und dass es bei Euch um pflegerische Betreuung geht. Natürlich braucht es kurz- bis mittelfristig auch die strategische Entscheidung, die reine Hauswirtschaft nicht mehr anzubieten. Damit einher geht natürlich auch die umfassendere Qualifikation des Personals.

 

Sind Pflegedienste die „Putzarmeen“ der Nation?

Aus meiner Sicht sind Pflegedienste schon gar nicht und Betreuungsdienste nur eingeschränkt die Putzarmeen dieser Nation. Für betreutes Putzen wird immerhin pro Stunde je nach Bundesland ein Betrag rund um € 26 fällig.

Solange nur geputzt wird und

ist aus meiner Sicht das Putzen die schlechteste Leistung, die Pflegebedürftigen hilft, so lange, so sicher und so selbstständig wie möglich ihr Zuhause genießen zu können.

Eine gute Idee finde ich, wenn ein Pflegedienst hilft, eine Firma zu finden, die sich auf Putzen spezialisiert hat. Das „Beim Finden helfen“ zählt in NRW zum LK 32 „Hilfe bei der Sicherstellung der selbstverantworteten Haushaltsführung“.


 

Meine Empfehlung: Vier strategische Aufgaben für den ambulanten Pflegedienst

Ich empfehle ambulanten Pflegediensten vier strategische Aufgaben:

  1. Die Entscheidung treffen, ob und in welchem Maße reine hauswirtschaftliche Tätigkeiten künftig zum Leistungsspektrum gehören.

  2. Die Leitungsebene zum Thema Bedarf erkunden, überzeugende Vertragsgespräche führen qualifizieren und

  3. das Betreuungspersonal weiterbilden, das echte pflegerische Betreuungsmaßnahmen durchführen kann. Maßnahmen, die über das Vorlesen und den Gang zum Friedhof hinausgehen.

  4. Die Texte, von denen ich im ersten Teil erzählt habe, können Dir helfen, geeignete Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln.

 

Mein Fazit: Zwei Optionen für ambulante Pflegedienste

Erste Option
Pflege und Betreuung gehört in eine Hand, damit Pflegebedürftige und deren Angehörige ganzheitlich in die Zukunft begleitet werden können. Die eine Hand muss wissen, was die andere tut.

Zweite Option
Pflegedienste kooperieren mit ambulanten Betreuungsdiensten und grenzen klar ab, wer bei wem welche Leistung erbringt. Dann muss aber auch die Kommunikation untereinander stimmen.

 

 

Liebe Grüße von

Claudia, Claudia Henrichs