"Ich will authentisch bleiben!" Hörst Du diese Aussage auch manchmal? Mich irritiert sie! Weil ich vermute, dass hinter dieser Aussage oft der Wunsch steht, nichts verändern zu wollen.
Meine spontane Frage in einem Workshop war:
"Stellt Euch vor, ein Mörder wird aus dem Gefängnis entlassen und begeht gleich wieder einen Mord. Ist er authentisch?"
"Klar!" War die Antwort.
"Ist also authentisch sein generell positiv?" fragte ich nach und natürlich schüttelten alle Teilnehmer*innen mit dem Kopf 😊
Was ist Authentizität?
Auf jeden Fall ein echter Zungenbrecher. Geht Dir das Wort flüssig über die Lippen? Das Wort wird vom Griechischen authentikós (selbstsein) abgeleitet und bedeutet:
- echt bleiben
- ganz ich selbst sein
- mich nicht verbiegen lassen
- nicht gegen meine „Natur“ handeln
Wenn jemand im Workshop sagt, ich will authentisch bleiben, bedeutet das oft:
- ich will keine Rolle spielen
- ich will nicht aufgesetzt wirken
- sprachliche Werkzeuge müssen zu mir passen oder
- ich will mich vom "Verkaufen" abgrenzen und den Kunden (Pflegebedürftigen und seine Angehörigen) nicht mit schön klingenden Wörtern über den Tisch ziehen.
Diesen Bedenken liegen Werte zu Grunde!
Nach den inneren Werten handeln
Werte, ein ähnlich komplexes Thema wie Authentizität.
Ein Wert ist etwas,
- was Dir persönlich im Leben besonders wichtig ist.
- Etwas, was für Dich persönlich richtig und sinnvoll ist.
- Etwas, was Du in allen Lebensbereichen versuchst zu erreichen.
In dem persolog – Persönlichkeitsmodell werden vier unterschiedliche Wertekategorien benannt:
- Zielerreichung, Ergebnis, Durchsetzung
- Anerkennung, Innovation, Veränderung
- Stabilität, Harmonie, Sicherheit
- Perfektion, Struktur, Klarheit
Darunter lassen sich noch viele weitere Werte aufzählen. Steve Pavlina hat auf seiner Webseite allein 346 unterschiedliche Werte aufgelistet. Meistens sind uns mehrere Werte wichtig und manchmal treten sie sogar miteinander in Konkurrenz. Dann kommen wir in einen inneren Konflikt.
Authentisch sein hat Konsequenzen
Hier ein Beispiel von mir: Ich arbeite im Workshop gerne auf Augenhöhe. Statt Folienvorträge zu halten ziehe ich den Austausch an kleinen Tischgruppen vor. Als Expert*innen profitieren wir alle voneinander. Daher bin ich auch im Workshop schnell bei der persönlichen Anrede. Das liegt mir. Dann empfinde ich Energie und Flow. Das förmliche „Sie“ hemmt mich eher. Ich empfinde es als Barriere. Miteinander energievoll Ziele und Ergebnisse zu erreichen, das gehört zu meinen Werten. In der oben genannten Wertekategorie trifft Punkt 2 auf mich zu.
Wenn ich in einem Team arbeite, das Wert auf Distanz und Form legt, dann komme ich in ein Dilemma. Passe ich mich dem an, fühle ich mich un-authentisch. Werde ich gefragt einen Vortrag mit Power-Point zu halten und kann keine Interaktion mit den Zuhörern einbauen, fühle ich mich un-authentisch.
Jetzt liegt die Entscheidung bei mir. Drei Möglichkeiten habe ich:
- Ich lehne die Aufträge ab, weil ich keine Kompromisse eingehen möchte und mich nicht verbiegen will. Authentisch also.
- Ich nehme die Aufträge an und gestalte sie so, dass trotzdem Miteinander, Interaktion und gemeinsamer Flow entsteht. Authentisch?
- Ich nehme die Aufträge an und gestalte sie nach den Wünschen des Auftraggebers. Nicht authentisch!
Alle drei Varianten haben Konsequenzen.
Zu den Konsequenzen stehen, in Kauf nehmen, dass einem die eigenen Werte auch manchmal ein Bein stellen können, ist der Preis der Authentizität.
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